l

l

Translate

Sonntag, 9. April 2017

Ist „Mut zum Erfolg“ angeboren? Oder brauchen wir Mut-Proben?


Foto: Saskia-Marjanna Schulz



Köln. Als Sozialforscherin hatte ich den Auftrag eines grossen Konzerns eine innerbetriebliche Studie durchzuführen. Anonym. Zum Thema MUT & ERFOLG. ERFOLG als Resultat selbst gesetzter Ziele. MUT als der engagierte Einsatz, dieses Ziel zu erreichen.

Meistens gehen wir davon aus: Jeder Mensch will Erfolg haben. Jeder will erfolgreich sein. Aber stimmt das wirklich?

Nach dieser Untersuchung hatte ich mehr als nur geringe Zweifel. Zwar gab es Menschen auf diesen Führungsebenen, die den Erfolg wirklich wollten und ihn ganz strategisch anstrebten. Jedoch: Die meisten Mitarbeiter*innen hatten ein gespaltenes Verhältnis zu dem, was wir Erfolg nennen: Selbst ein Ziel setzen – und erreichen. Alles, was über einen „eher normalen“ Entwicklungsweg hinaus ging, war erkennbar unerwünscht (keine Veränderung – Veränderung macht mir Angst).

Der Eindruck, den ich hier gewinnen konnte: Menschen haben selbst gesetzte Ziele bis zu einer bestimmten Ebene. Dies zeigt sich je nach z.B. sozio-demografischen Merkmalen, Geographie, Bildung sowie weiterer Einflussfaktoren (z.B. Gesundheit).  Haben sie ihre Ziele bis zur Erreichung eines bestimmten Bildungs- und Karriereabschnitts (Hauptschule, Mittlere Reise, Abi … Habilitation/Lehre, Studium/Beruf) geschafft -  und auch bis zu einem bestimmten Ziel in der Familienplanung (Ehe, keine Kinder oder Anzahl der Kinder) – dann sind nur selten weitere Erfolge geplant. Der Erfolg soll gehalten und verteidigt werden. Veränderungen werden als Gefahr angesehen. Mal von ganz allgemeinen Aussagen abgesehen wie Wünsche etwa im Hinblick auf: Gesundheit, den Kindern soll es gut gehen, Frieden für die Welt.

Dabei waren die Ergebnisse meiner Untersuchung schon ein deutliches Zeichen für ein selbstbestimmtes Leben mit anvisiertem Erfolg.

Jena, Leibzig, Dresden. Hier unterrichtete ich Kommunikation. Ich konnte erkennen, dass die Menschen im Osten schon konkrete Vorstellungen von ihrem Leben hatten – aber in der Umsetzung eher darauf warteten, dass etwas „passierte“. Ein Angebot kam, ein Impuls, eine Anregung. Irgendetwas. Von aussen.

Selbstmotivation, die über das Managen des Alltäglichen hinausging: eher selten.

Warum ist es so, dass wir nach einer bestimmten Erfolgsebene nicht weiter gehen wollen?

Bestseller-Autorin Marianne Williamson[1] spricht in einem ihrer Bücher von der Angst, die wir vor unserer Grösse, unserer Begabung, haben. Und von der Konditionierung, uns als „klein sehen zu müssen“. Mit anderen Worten – irgendwie finden es viele Menschen als schicklich, sich selbst zu verachten, Begabung  und Grösse zu unterdrücken! Und damit wollen sie dann irgendwie über die Runden kommen. Ab dem mittleren Lebensabschnitt nur noch Routine? Ziele nur noch im Urlaub?

Dieses Thema der mangelnden Selbstanerkennung ist nicht neu. Hatten unsere  Mütter als Teenie nicht alle diesen Spruch im „Poesiealbum“ gelesen: „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“? Was ist sittsam? Wer bestimmt das?

Bescheidenheit als Form der Abwesenheit von Hochmut, ist ja ganz in Ordnung.

Bescheidenheit in Form von Selbstverleugnung ist hingegen krank.

Und so ruft die Autorin Marianne Williamson auch dazu auf, zu sich selbst zu stehen. Das „eigene Licht leuchten zu lassen“ – auf dass unser Mut die anderen Menschen von ihrer Angst befreit.

Aber: Wie kann man so mutig werden, zu sich selbst zu stehen?

Ich habe dazu meine Seminarteilnehmer*innen angeregt, „Mutproben“ zu machen. Ich habe Mutproben schon als Kind immer geübt – und fand die Methode wunderbar. Zum Beispiel nachts heimlich in den Wald zu gehen – nur mit einer Taschenlampe – wohl wissend, dass es da Wildschweine gibt.

Mit den Menschen in Leipzig habe ich zum Beispiel über Praktika bei richtig „prickelnden“ Firmen gesprochen. Und tatsächlich haben wir zwei Praktika bekommen – in Köln und Düsseldorf. Das war ein echtes Abenteuer für Menschen, die soeben die Freiheit erkämpft hatten – und sich jetzt auch irgendwie alles zutrauten. Fast alles.

Und die Menschen im Westen? Es kommt darauf an, was sie schon können und noch erreichen wollen. Einmal war eine Ausbildung zu einem Nachrichtensprecher bei einem kleinen Radiosender hilfreich. Ein anderes Mal haben wir gemeinsam einen Feuerlauf gestartet.

Wir meldeten uns gemeinsam an zu einem Feuerlauf-Seminar. Zuerst gab es ein Warming-up, gefolgt von einer Phantasiereise. Dann gingen wir auf die Wiese und spürten bewusst das Gras unter unseren Füssen. Ein Feuerteppich über drei Meter wurde von der Seminarleiterin angelegt. Wir stellten uns um dieses Feuer, sangen und waren ziemlich aufgeregt. Zumeist freudig aufgeregt. Ich sah zu wie die Menschen über das Feuer gingen – nicht laufen! – und nichts passierte. Keine brennende Haut. Keine Ohnmacht. Keine Panikattacke.

Als ich an der Reihe war, war ich erstaunt wie gut es ging und wie leicht es war. Ich war so begeistert, dass ich diesen Gang noch zwei Mal wiederholte. Keine Verletzungen an den Füssen. Keine Brandwunden. Nichts!
Wer über das Feuer gehen kann – kann zwar noch nicht über’s Wasser laufen. Hat aber danach den Mut, neue Dinge zu tun. Das, was dieser Mensch schon immer tun wollte.

Für die einen ist es der Auftritt vor einem grossen Publikum im Radio. Für andere ist es das Erlebnis in einem berühmten Unternehmen. Andere besteigen höchste Berge. Oder melden sich mit Ende 70 zu ihrer Promotion an. Oder machen einen Selbstverteidigungskurs. Oder gehen über das Feuer.

Wenn wir „für uns“ sind, „zu uns“ stehen, können wir fast alles erreichen. Ich habe eine Frau erlebt, die gerade einen Selbstmordversuch überlebt hatte. Eine Frau,  die bisher (Heim) nur erlebt hatte, dass das Leben ein Jammertal sein kann, und die dann einen bemerkenswerten Lebensweg hingelegt hat. Als sie erkannte, was so alles in ihr steckt, bekam sie regelrecht Flügel.

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001


[1] „Our deepest fear is not that we are inadequate.
Our deepest fear is that we are powerful beyond measure.
It is our light, not our darkness that most frightens us.”


Beliebte Posts